Bosnische Verfassung verstößt gegen europäisches Recht!

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der EGMR, hat sich erneut kritisch zur Verfassung von Bosnien und Herzegowina geäußert – es wird von einem historischen, bahnbrechenden Urteil gesprochen!

Worum geht es in diesem?
Im 3,2 Millionen Menschen umfassenden Staat leben etwa 30 Prozent Serb*innen (Orthodoxe), 14 Prozent Kroat*innen (Katholiken) und fast 48 Prozent Bosniak*innen (Muslime). Der Rest, immerhin mehr als 10 Prozent, sind ostali, andere, nicht deklarierte Personen, oder sie sind Mitglieder von Minderheiten wie Juden und Roma – genaue Zahlen gibt es dazu nicht.

Die Verfassung von Bosnien-Herzegowina räumt nun Bosniak*innen, Kroat*innen und Serb*innen politische Privilegien bei den Parlaments-Wahlen ein, man kann sie deshalb als „konstituierende Völker“ bezeichnen. Sowohl in der 15 Sitze umfassenden Völkerkammer als auch im dreiköpfigen Staatspräsidium sind sie gleichermaßen vertreten. Personen ohne Zugehörigkeit zu den drei dominierenden Bevölkerungsgruppen können nicht in diese beiden Institutionen gewählt werden.

Die territoriale Zusammensetzung des Landes bestimmt außerdem über die Wahlberechtigung. Nur die Einwohner der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH) können die bosniakischen und kroatischen Mitglieder der Völkerkammer und des Staatspräsidiums wählen. Die serbischen Mitglieder werden von den Einwohnern der Republika Srpska gewählt, wo ethnische Serb*innen die Mehrheit bilden.

Gut also, dass dagegen geklagt wurde. Das aktuelle Urteil des EGMR sieht in der bisherigen Verfassung des Landes tatsächlich eklatante Verstöße gegen europäisches Recht: Für eine politische Repräsentation sei diese Zuordnung nach Volksgruppen zweitrangig. Eine umfassende Reform des Wahlrechts müsse gewährleisten, dass alle Bürger in Bosnien und Herzegowina wählen oder gewählt werden können – unabhängig von ihrem Wohnort oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Das nennt sich Demokratie. Und damit fordert das Gericht auch die Umsetzung bisheriger Urteile mit ähnlichem Inhalt ein. Denn es wurde nicht zum ersten Mal dagegen geklagt und der EGMR hat bereits in zahlreichen anderen Urteilen seit dem Jahr 2009 festgestellt, dass die Verfassung menschenrechtswidrig ist und unbedingt geändert werden müsste. Die nationalistischen Kräfte haben dies jedoch bisher verhindert.

Ob das Urteil dieses Mal umgesetzt wird, hängt also wieder einmal von den herrschenden Parteien ab. Die serbische und kroatische Seite hat dabei angeblich schon abgewinkt. Dadurch kann folglich ein weiteres Mal die nichtnationalistisch-bosniakische Mehrheit blockiert werden, die unbedingt in die EU will. Wie soll aber eine europäische Integration gelingen – ganz zu schweigen von einer Aufnahme in die EU – wenn Urteile des EGMR „traditionell“ ignoriert werden und die bosnische Verfassung diskriminierend ist und bleibt?

Mehr dazu: https://taz.de/Europaeischer-Gerichtshof-zu-Bosnien/!5954758/